Erzdiözese München und Freising
Fachbereich Weltanschauungsfragen
Informationen zu Geistlichem Missbrauch
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Checkliste Ordensgemeinschaften

Die Welt der Orden ist für viele Christen, erst recht aber für Außenstehende, eine fremde und unverständliche Welt. Gerade in Zeiten, in denen Individualität, kreative Selbstentfaltung, persönliche Freiheit und Flexibilität groß geschrieben werden, mag die Entscheidung für ein Leben in einer Ordensgemeinschaft abwegig oder ewiggestrig erscheinen. Es gibt aber viele und gute Gründe, wenn Christen sich einer religiösen Gemeinschaft anschließen und freiwillig ihr ganzes Leben nach den so genannten "evangelischen Räten" Armut, Keuschheit und Gehorsam ausrichten. Diese Lebensform, die in einer Vielzahl von Orden und ordensähnlicher Gemeinschaften ihre unterschiedliche Ausgestaltung erfährt, kann für den Einzelnen sehr erfüllend sein. Ebenso ist diese Lebensweise für den christlichen Glauben wie für die Kirche wertvoll und unersetzlich.

Die nachfolgende Checkliste möchte auf empfindliche Themen, mögliche Schwachstellen in Strukturen und Verhaltensweisen sowie gefährdete Einseitigkeiten in Theologie und Weltsicht aufmerksam machen. Es geht also ausdrücklich nicht um einen Generalverdacht! Ganz im Gegenteil: Es geht um Sensibilisierung und kritisch-rationale sowie geistlich fundierte Reflexion.
(Wer bei Anfragen und Kritikpunkte sogleich den Vorwurf eines Generalverdachts vorbringt, sollte sich fragen lassen, ob die reflexartige Unterstellung nicht ein bequemer Ausweg ist, sich den Fragen und Kritikpunkten zu entziehen).

Da die rechtlichen und sozio-kulturellen Bedingungen in den Ländern der Welt sehr verschieden sind, beziehen sich die Fragen und Kriterien vornehmlich auf den deutschen Raum.


 

Zugänge

  • Sie sind auf der Suche nach Gott und wollen ihren weiteren Weg in einem Leben in Gemeinschaft verwirklichen...

Vermutlich stehen Sie gerade in einer spannenden Lebensphase, die viel Freude und Hoffnung auf gelingendes Leben aus dem Glauben mit sich bringt und gleichzeitig auch so manche Frage aufwirft. Sie befinden sich in einer Zeit der Orientierung und Einführung in eine vielleicht für Sie doch ganz neue Welt: Fragen zu stellen ist wichtig und Ihr gutes Recht.

  • Sie sind Mitglied in einem Orden und möchten sich mit der Thematik auseinandersetzen oder fühlen sich selbst betroffen....

Als Ordensoberin/Ordensoberer möchten Sie vielleicht prüfen, wieweit Ihre Gemeinschaft sensibel ist für diese Fragen, möchten die bestehenden Strukturen überprüfen oder präventive Schritte einleiten.
Oder Sie spüren, dass es Verhaltensweisen und Strukturen in Ihrer Gemeinschaft gibt, die Sie als problematisch empfinden, weil Sie oder andere Geschwister unberechtigter Weise in Ihren Möglichkeiten und Rechten beschnitten werden.

... dann möchten wir Ihnen mit dieser Checkliste durch Fragen und Kriterien wichtige Anhaltspunkte nennen.

Die folgenden Fragen umkreisen alle das Thema der geistlichen Selbstbestimmung des Menschen. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern wollen zum Nachdenken und zur Diskussion anregen. Nicht jede Frage passt zu allen Gemeinschaften, da es unterschiedliche Verbindlichkeiten und Lebensweisen gibt. Unzutreffendes daher bitte einfach ignorieren. Fragen, die Sie mit Nein beantworten, sollten Sie vorsichtig machen. Bei Fragen, die Sie noch nicht beantworten können, empfehlen wir sehr, sich eingehender damit zu beschäftigen und sich zu informieren.

Die Checkliste möchte zu einem mündigen Christsein mit einem wachen Bewusstsein für dieses Thema in den Ordensgemeinschaften heranführen helfen. Nichts anderes als die Glaubwürdigkeit der geistliche Lebensformen und ihre Zukunft hängen davon ab.

 

1. Strukturelle Dimension:

Interesse an einer Ordensgemeinschaft

  • Können Sie vor Ihrem Eintritt in die erste Ausbildungsphase die Konstitutionen/die Geistliche Lebensordnung der Gemeinschaft lesen und dazu Fragen stellen?
    Gibt es diese Ordnung und weitere grundlegenden Texte der Gemeinschaft in deutscher Sprache/Übersetzung?

  • Können Sie die hierarchische Struktur der Gemeinschaft verstehen: Ist Ihnen klar, wer für welche Entscheidung zuständig ist?

  • Sind die Strukturen eher flexibel oder eher starr? Was bedeutet das für Sie?
  • Gibt es eine regelmäßige und umfängliche Rechenschaftspflicht der Oberen der Gemeinschaft gegenüber?
    Welche Möglichkeiten der Diskussion und der Mitentscheidung sind vorgesehen?
  • Kennen Sie den Zeitplan, die Zielsetzungen und die Abläufe für die einzelnen Ausbildungsabschnitte wie Postulat, Noviziat, Juniorat*, bevor Sie sich darauf einlassen?

  • Sind die Rollen von geistlicher Begleitung, Noviziatsleitung und Ordensleitung voneinander getrennt?

  • Gibt es eine klare Trennung von Forum internum* und Forum externum*?

  • Sind Sie darüber informiert worden, ob/dass in Ihrer Gemeinschaft eine Akte zu Ihrer Person angelegt wird und haben Sie Einsicht in Ihre „Personalakte“?

  • Gibt es die Möglichkeit, Geistliche Begleitung* außerhalb der Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen?

  • Wissen Sie, was mit ihrem Vermögen nach dem Eintritt geschieht? Welche Regelungen gibt es, sollten Sie (eines Tages) ein Erbe oder finanzielle Leistungen zugesprochen bekommen?

  • Wie ist der Umgang mit Arbeitsverträgen? Ist Ihnen bewusst, was ein Gestellungsvertrag* bedeutet und wie es mit Ihren Rentenansprüche aussieht?

  • Allgemeiner gefragt: wie transparent sind die Strukturen und Verhältnisse?
    (zu beachten: es gibt offizielle und inoffizielle Strukturen; die inoffiziellen sind oft wirkmächtiger als die offiziellen Strukturen).
  • Wer in einen Orden eintritt, muss bereit sein, persönliche Freiheiten aufzugeben und sich in Gehorsam zu üben. Sind Ihnen die konkreten Auswirkungen bekannt? Wird offen mit Ihnen darüber geredet?

  • Gehorsam bedeutet nicht blinder Gehorsam: werden Sie in alle Fragen, die Sie persönlich treffen, eingebunden, d.h. informiert und wird mit Ihnen gemeinsam entschieden? (Transparenz)
  • Eingriffe ins Private und Intime müssen immer gut begründet sein. Können Sie diese Begründungen nachvollziehen? Gibt es sinnvolle Spielräume? Kennen Sie ihre persönlichen Grenzen?

  • Kontrolle findet auf verschiedenen Ebenen statt und ist weder ungewöhnlich noch kritisch. Ab wann verletzt Kontrolle Ihre persönlichen Grenzen?
    Es gibt die unmittelbare Kontrolle. Die mittelbaren Kontrollmechanismen sind jedoch weitaus wirksamer: z.B. Denkverbote (was ich lesen darf oder was ich sagen darf – und was nicht?), Kleidungskontrolle (was darf ich anziehen und was nicht?), Verhaltenskontrolle (was „gehört“ sich und was nicht).

  • Auch die Kontrolle von Besitz und Eigentum kann unverhältnismäßig, überzogen oder völlig willkürlich ausgeübt werden: Sind die Vorgaben und Verbote nachvollziehbar und sinnvoll begründet?
  • Wird Ihre Privatsphäre geachtet? Dazu gehört die Respektierung des Briefgeheimnisses, die Möglichkeit mit Freunden und Familienangehörigen unbeobachtet zu telefonieren.

  • Können Sie den Kontakt zur Familie und zu Freunden außerhalb der Gemeinschaft aufrecht erhalten und pflegen, ohne dabei beaufsichtigt zu werden?

  • Können Sie Kontakt mit anderen Mitgliedern Ihrer Gemeinschaft aufnehmen, Gespräche führen und Freundschaften aufbauen, ohne dabei beaufsichtigt zu werden?

 Konflikte in einer Ordensgemeinschaft

  • Wissen Sie, zu wem Sie innerhalb der Gemeinschaft gehen können, wenn Sie ein Problem oder einen Konflikt mit anderen haben?

  • Werden Ihre Befürchtungen, Sorgen, Kritikpunkte gehört und ernst genommen?

  • Gibt es die Möglichkeit, Beratung und Therapie außerhalb der Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen, wenn Sie das möchten?

Im Falle eines Austritts

  • Wurden Sie über finanzielle Fragen nach einem möglichen Austritt aufgeklärt? Werden Übergangsgelder und andere Unterstützungen gewährt?

  • Wie sind Sie sozialversichert und was geschieht, wenn Sie aus der Gemeinschaft austreten sollten? Wie hoch sind dann Ihre Rentenansprüche?

  • Gibt es einen menschlichen Umgang mit denen, die die Gemeinschaft verlassen haben?

  • Bestehen freundliche Kontakte zu Ehemaligen und werden sie nicht als Verräter*innen gebrandmarkt?

2. Psycho-soziale Dimension:

  • Was sagen Ihnen Ihre Intuition und Ihre bisherige Lebenserfahrung hinsichtlich der Vorstellung, sich an diese Gemeinschaft zu binden - im Sinne: „Kann ich hier menschlich und geistlich wachsen und reifen“?
  • Können Sie sich in der Gemeinschaft und gegenüber Leitungspersonen ohne Angst in allem so zeigen, wie Sie sind?
  • Sind körperliche und psychische Erkrankungen in der Gemeinschaft kein Tabuthema und können Sie offen über Ihre gesundheitlichen Probleme reden?
  • Ist eine ausreichende und professionelle medizinische Versorgung gewährleistet und können Sie im Krankheitsfall die Ärztin/ den Arzt Ihrer Wahl aufsuchen?
  • Kennen Sie die Grenzen Ihrer Belastbarkeit?
  • Welches Klima des Miteinanders herrscht in der Gemeinschaft: Ist es unterstützend und respektvoll gegenüber persönlichen Grenzen, individuellen Unterschieden und Begabungen ihrer Mitglieder?
  • Werden psychologische Grundannahmen vom einem reifen und psychisch gesunden Menschen im Gemeinschaftsleben ernst genommen?
  • Ist es für Sie eine Selbstverständlichkeit, dass Männer und Frauen sich auf Augenhöhe begegnen?
  • Sind Sie ein Mensch, der Verantwortung für das eigene Leben übernimmt und wesentliche Entscheidungen in Freiheit treffen will? - Ist dafür in der Gemeinschaft Raum?
  • Setzen Sie sich mit ihrer Lebensgeschichte, mit den Umwegen und möglichen Irrwegen auseinander? Werden die Umwege und Irrwege als Teil Ihres Lebens akzeptiert und respektiert?
  • Wird mit Brüchen in der Vita und mit persönlichen Schwächen in konstruktiver, hilfreicher Weise umgegangen?
  • Gehen Sie davon aus, dass Sie sich auch nach dem Eintritt in die Gemeinschaft in Ihrer Persönlichkeit weiter entwickeln? - Und ist dafür in der Gemeinschaft Raum?
  • Wird selbständiges Denken und Kreativität der Mitglieder gefördert?
  • Kann über Themen und Fragen aus dem Bereich der Sexualität offen gesprochen werden?
  • Kennen Sie Ihre eigene sexuelle Ausrichtung?
  • Wird über homo-erotischen Beziehungen „in der Gemeinschaft“ gesprochen?
  • Gibt es eine ausgewogene Balance zwischen Nähe und Distanz in der Gemeinschaft?
  • Gibt es eine bunte Vielfalt von unterschiedlichen Persönlichkeiten in der Gemeinschaft?
  • Wie wird auf die Charismen einzelner Mitglieder eingegangen: Finden sie im Rahmen des Möglichen einen Ausdruck im Beruf oder in den gemeinschaftsinternen Aufgaben?
  • Gibt es das ehrliche Bestreben alle Gemeinschaftsmitglieder zu integrieren, um nicht manche als Außenseiter zu behandeln oder sogar zu ächten?
  • Gibt es Möglichkeiten der Mitgestaltung und der Mitsprache?
  • Werden Sie über alle wichtigen Entscheidungen informiert und wie weit reichen Ihre Rechte?
  • Bestehen Angebote für Weiterbildung und Ausbildung?
  • Gibt es ausreichend Freizeit, über die Sie selbst bestimmen können und in der Sie sich wirklich erholen können?
  • Gibt es eine angemessene Urlaubsregelung und ausreichende Zeiten für Erholung?
  • Für den Fall, dass eine Ordenstracht getragen wird: Ist zum Beispiel im Urlaub eine Ausnahme von der Kleidungspflicht möglich?

 

3. Spirituell, ideologische Dimension:

  • Konnten Sie im Laufe Ihrer persönlichen Glaubensgeschichte Erfahrungen mit anderen spirituellen Wegen, als dem jetzt angestrebten, machen?
  • Haben Sie den Eindruck, dass die Spiritualität der Gemeinschaft Sie im geistlichen Sinne froh macht, nährt und auf dem Weg zu einem Leben in Fülle bestärkt?
  • Wird eine reife und mündige Spiritualität ganz klar vor blindem Gehorsam und Unterordnung bevorzugt?
  • Sind Sie ein Mensch, der Regeln, die er nicht versteht, hinterfragt und gegebenenfalls dagegen aufbegehrt?
  • Werden Sie nach ihrer persönlichen Glaubensgeschichte und Gottesbeziehung gefragt und kommen Ihnen hierbei echtes Interesse und Respekt entgegen?
  • Können Sie im Rahmen der spirituellen Lebenskultur der Gemeinschaft persönliche Ausdrucksweisen und Gebetsformen entwickeln?
  • Gibt es in der Gemeinschaft eine Offenheit für die Zeichen der Zeit und für geistliche Weiterentwicklung?
  • Gibt es Foren für alle Gemeinschaftsmitglieder, in denen frei diskutiert und Meinungen ausgetauscht werden?
  • Glauben Sie, dass Gott sich in der Vielfalt unterschiedlicher Vorstellungen zeigt?
  • Besteht eine wertschätzende Achtung in der Gemeinschaft gegenüber der Fülle an möglichen weltanschaulichen und religiösen Wegen - vor allem: ohne die Spiritualität der Gemeinschaft als allein seligmachend zu verabsolutieren?
  • Bleiben Sie mit der geistlichen Leitung immer auf Augenhöhe vor dem Geheimnis Gottes, ohne, dass sie Ihnen suggeriert, dass der Wille der Leitung dem Willen Gottes entspricht?
  • Können Sie Ihren geistlichen Weg in altersgemäßer Weise und unter Beachtung Ihrer persönlichen Entwicklung gehen?
  • Fühlen Sie sich von Ihrer Geistlichen Begleitung* und Ordensleitung in ihrer Persönlichkeit gesehen und auch in schwierigen Phasen unterstützt?
  • Können Glaubenszweifel und Zweifel an der angestrebten Lebensform frei ausgesprochen werden - ohne unter Druck gesetzt werden, diese möglichst schnell überwinden zu müssen?
  • Haben Sie die Möglichkeit ihre Geistliche Begleitung* frei zu wählen?
  • Können Sie frei wählen, zu wem und wie oft Sie zur Beichte gehen wollen?
  • Haben Sie auch die freie Wahl bei spirituellen Angeboten wie Oasentagen, Stillen Auszeiten oder Exerzitien/geistlichen Übungen?
  • Kommen im Ausbildungskonzept der Gemeinschaft Themen wie Gewissensbildung oder die Unterscheidung der Geister vor?
  • Gibt es eine ehrliche Auseinandersetzung innerhalb der Gemeinschaft mit der Gefahr geistlicher Instrumentalisierung und ungesunder Spiritualität vor dem Hintergrund der Kirchengeschichte und der aktuellen kirchlichen Missbrauchsskandale?
  • Gibt es eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Themenfeld Missbrauch und strukturelle Macht in Kirche und Orden?
  • Hat der Orden ein Präventionskonzept und unabhängige Missbrauchsbeauftragte?
  • Wird über Täter und Betroffene im Orden, in der Gemeinschaft gesprochen?
  • Haben Sie Kenntnis davon, an wen Sie sich im Falle eines spirituellen / sexuellen Übergriffes in Ihrer Gemeinschaft wenden können?

Weitere Informationen und Vermittlung von Ansprechpartnern

DOK Deutsche Ordensobernkonferenz e.V.
Wittelsbacherring 9
53115 Bonn
Tel.: 0228 684 49-0
Fax: 0228 684 49-44
info@orden.de
www.orden.de

vgl. auch deren AG für Berufungspastoral, die AGBO unterhält die Seite  http://ordensleben.orden.de

 Zu den Verfasserinnen der Checkliste:

Entstanden ist die Checkliste im Austausch mit verschiedenen katholischen Ordensschwestern, namentlich Sr. Antonia Hippeli (Missionarin Christi, München) und Sr. Mareile Hart (Missions-Benediktinerin, Tutzing). Nach der Teilnahme an der Fortbildung: Geistlicher Missbrauch „Menschen schützen – Strukturen gestalten“ im Februar 2020 in Nürnberg, haben sich die Schwestern auf Anregung von Sr. Katharina Kluitmann intensiver mit dem Thema spiritualisierter Machtmissbrauch in Orden und geistlichen Gemeinschaften auseinandergesetzt und eine Checkliste erarbeitet, die Grundlage ist für die hier veröffentlichte Version.

Axel Seegers