Erzdiözese München und Freising
Fachbereich Weltanschauungsfragen
Informationen zu Geistlichem Missbrauch

Kleine Checkliste für eine Anhörung

Vorbemerkung:  Eine "Anhörung" bietet "den Beteiligten die Gelegenheit, sich zu der zur Entscheidung stehenden Angelegenheit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern. Sie dient anders als die Vernehmung nicht dazu, durch Frage und Antwort den Sachverhalt aufzuklären, sondern verwirklicht den rechtsstaatlichen Anspruch auf rechtliches Gehör" (wikipedia).

Wenn Betroffene von Spirituellem Machtmissbrauch ihre Beschwerden offiziell vorbringen wollen, bietet die Institution die Möglichkeit zu einem offenen, auf Freiwilligkeit beruhenden Gespräch. Das Gespräch ist keine Vernehmung und erst recht kein Verhör. Die Betroffenen dürfen Empathie, Wertschätzung und Echtheit erwarten (so genannten Grundhaltungen nach C. Rogers). 

Schon bei der ersten Kontaktaufnahme (und vor einem ausführlichen Gespräch) werden die Bedingungen für die Anhörung und für alle weiteren Schritte verständlich dargelegt und erklärt.

  • Wer nimmt am Gespräch teil?
    • Es werden frühzeitig alle Namen der Teilnehmer übermittelt, deren jeweilige Funktion und mit welcher Aufgabe sie am Gespräch teilnehmen.
    • Aus Rücksicht auf die Betroffenen, für die ein solches Gespräch belastend ist, sind plötzlich hinzukommende Teilnehmer undenkbar und stellen vielleicht sogar einen (weiteren) Vertrauensbruch dar.
    • Die Betroffenen dürfen (mindestens) eine Person ihres Vertrauens zum Gespräch mitbringen. Die Entscheidung liegt allein bei den Betroffenen, wen sie dafür auswählen.
    • Gerade in kleineren Gemeinschaften, wo jeder jeden kennt, ist zu prüfen, wieweit die Vertreter:innen der Institution befangen sind, weil dienstliche Verhältnisse, Freundschaften oder arbeitsrechtliche Regelungen einer offenen und unvoreingenommenen Anhörung entgegen stehen.  
  • Wo und wann findet das Gespräch statt?
    • In gemeinsamer Absprache wird ein Termin gesucht.
    • Für den Fall einer plötzlichen Verhinderung wird vereinbart, wer wie zu verständigen ist und wie ein weiteres Vorgehen möglich ist.
    • Werden Bedenken angemeldet gegen den Ortsvorschlag oder gegen die Zeit, sind diese Bedenken ernst zu nehmen. Vielleicht gibt es gute Gründe für Vorbehalte?! Im Sinne von Empathie und Sensibilität ist eine Alternative von Ort/Zeit zu suchen.
    • Ort und Zeit sind so zu wählen, dass das Gespräch ohne Zeitdruck und in ungestörter Atmosphäre stattfinden kann.
    • Die Räumlichkeiten müssen geeignet sein für ein vertrauliches Gespräch. Raumgröße und Raumausstattung haben für diesen Zweck geeignet zu sein. Eine Toilette ist in erreichbarer Nähe. Getränke oder ein zu öffnendes Fenster können sehr hilfreich sein.
  • Grundlagen für das Gespräch
    • Welcher Gesprächsverlauf ist vorgesehen? Sind Fragen vorbereitet? Gibt es gesonderte Wünsche, z.B. wer anfängt oder worüber man - zunächst - nicht sprechen möchte?
    • Wird Vertraulichkeit vereinbart? Was bedeutet das? Wer bekommt Informationen über Ort und Zeit oder auch über Inhalte des Gesprächs?
    • Wenn ein Protokoll erstellt wird: wird während des Gespräches bzw. am Ende des Gespräches gemeinsam ein (Ergebnis)Protokoll erstellt oder wird ein Protokoll nach Beendigung den Teilnehmern zur Korrektur und gegebenenfalls Ergänzung zugestellt? In welchem Zeitraum geschieht das? Was passiert anschließend mit dem Protokoll (Aufbewahrung, Einsichtnahme)?
    • Gibt es weitere Rechte und Pflichten, die es zu berücksichtigen gilt (z.B. Datenschutz, Vertraulichkeit, Informations- und Handlungspflichten)?
  • Bedenkenswertes
    • Betroffene von Spirituellem Machtmissbrauch berichten von ihren Erfahrungen und ihrem Leid. Dazu braucht es Mut. Dazu braucht es Kraft. Dies ist ohne Vorbehalte zu würdigen! 
    • Erlittenes Unrecht darf gesagt und muss beklagt werden. Aus Respekt vor den Gefühlen und Erlebnissen gilt es aufmerksam und offen zuzuhören. Kritik, herablassende Kommentare, Unterstellungen oder gar Ironie verbieten sich automatisch!
    • Die Betroffene öffnen sich und berichten von ihren Erfahrungen sowie von dem Leid, dass daraus erwachsen ist. Selbstverständlich sind die Berichte subjektiv. Dennoch haben sämtliche Relativierungen zu unterbleiben. Diskussionen um die "richtige" Sichtweise oder Bewertung sind in diesem Gespräch unangebracht. 
    • Verständnisfragen, auch detaillierteres Nachhaken ist selbstverständlich erlaubt, so lange alle Rückfragen respektvoll und einfühlsam bleiben. 
    • Die Betroffenen haben das absolute Recht, nur die Vorkommnisse zu erwähnen und die Namen zu nennen, die sie auch selbst freiwillig preisgeben möchten. Dies hat auch Auswirkungen auf Protokollierung und Dokumentation.
    • Es ist verboten, Druck aufzubauen oder gar zu nötigen. Namen, Daten oder Fakten werden entweder völlig freiwillig genannt oder man hat zu akzeptieren, dass dies (noch) nicht gesagt werden kann.
  • Wie geht es weiter?   
    • Gegen Ende des Gesprächs oder nach Genehmigung des Protokolls sind mögliche weitere Schritte transparent darzulegen (zeitlicher Rahmen, involvierte Personen, Entscheidungsträger).
    • In jedem Falle sollte den Betroffenen ein weiteres Gesprächsangebot gemacht werden.  

"Anlaufstellen ermöglichen (oftmals) einen ersten Kontakt für Betroffene und deren Angehörige. Hier hört man ihnen zu. Hier finden sie einen Raum und Unterstützung, um über das Erlebte und Erlittene ins Gespräch zu kommen. Zur Beratung gehören darum auch Angebote, die eigenen Erfahrungen besser einzuordnen, etwa durch die Reflexion theologischer Zusammenhänge, spiritueller Konzepte und weltanschaulicher Vorgaben. Gemeinsam mit den Ratsuchenden werden Möglichkeiten erarbeitet und Ressourcen gestärkt."